Samstag, 30. Juli 2011

Innen und außen

Neulich bin ich durch Tokio spaziert, und ich hatte ein merkwürdiges Gefühl. Kaum war ich aus dem Haus gegangen, hatte ich nicht das Gefühl, "draußen" zu sein. Ich war nicht in der Außenwelt, so, wie ich das in Zürich oder Frankfurt bin, sobald die Haustür hinter mir zufällt.

Gefühlsmäßig bin ich eher auf einen Flur hinausgetreten. Außerhalb des privaten Lebensbereichs vielleicht, aber nicht außerhalb des Hauses, in dem man wohnt.

Das liegt, vermute ich mal, daran, dass einerseits die Strassen hier makellos versiegelt sind mit Asphalt und Beton und andererseits so sauber aussehen, dass man vom Boden essen könnte. Dazu kommt, dass die meisten Häuser so eng stehen, dass man die kleinen Gassen kaum als richtige Räume erfährt wie in Europa. In Europa gibt es Fahrbahnen und Troittoirs, Randsteine, die diese Bereiche abgrenzen, Grünflächen, die ihrerseits wieder abgegrenzt sind und so weiter.

Hier gibt es, abgesehen von den wirklich großen Hauptstrassen (also die sechsspurigen Strassen mit baulich getrennten Bürgersteigen) nur weiße Linien, die die Fahrbahn von den Fußgängerbereichen trennen. Trennen ist auch nicht das richtige Wort, sie liefern eher Anhaltspunkte. Sobald nämlich ein Lieferwagen, Taxi oder Privatfahrzeug am Strassenrand anhält, muss sich der restliche Verkehr irgendwie durchwursteln.

Letztlich geht also alles durcheinander, klar abgegrenzte Räume in dem Sinn gibt es nicht.

Auch in der Architektur zeigt sich das: Die meisten, auch sehr hohen, Gebäude haben außenliegende Treppenhäuser. Also keine richtigen Treppenhäuser, sondern halboffene Treppen, die eigentlich nie vollständig in die jeweiligen Häuser integriert sind. Man ist zwar "im" Gebäude, aber die Außenwelt (Wind, Regen, Geräusche, Sonnenlicht,...) erreichen einen in dem Moment, in dem man vor die Wohnungstür tritt.

Innen und außen durchdringen sich in diesen merkwürdigen Zwischenbereichen auf eine Art und Weise, die mir fremd vorkommt und faszinierend zugleich. Gerade, weil hier so viele Menschen so dicht aufeinander leben, wäre es doch naheliegend, die einzelnen Wohnbereiche so effizient wie möglich voneinander abzugrenzen. Aber genau das passiert nicht: Die Wände sind hellhörig, Innen- und Außenbereiche der Häuser verschmelzen mit der öffentlichen Sphäre der Korridor-Strassen.

Das ist einer jener Aspekte, die einem vor Augen führen, dass man in Fernostasien ist, in einer Kultur, die in vielem doch sehr verschieden ist von dem, was wir kennen.

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