Mittwoch, 26. Oktober 2011

Minamisoma


Es gibt ein ziemlich heikles Thema, über das ich mit euch noch nicht gesprochen habe. Seit letztem Mittwochsind zwei Freunde von mir aus Deutschland hier zu Besuch. Die eine davon macht gerade ihr Volontariat bei einer Zeitung und wollte in ein Flüchtlingslager fahren, um sich in der Region Nordjapan umzusehen.

Also habe ich mal ein paar E-Mails geschrieben und Kontakt mit einer Gruppe Freiwilliger aufgenommen, die alle zwei Wochen Hilfsgüter in die Kleinstadt Minamisoma bringt.

Der am stärksten von der radioaktiven Wolke betroffene Landstreifen in der Region ist knapp südlich Minamisomas verlaufen, was natürlich nicht heißt, dass Minamisoma wirklich verschont worden wäre. Lokale Produkte und Leitungswasser sowie der Boden sind entsprechend belastet, die Messwerte in der Luft sind leicht erhöht, allerdings noch innerhalb dessen, was vertretbar ist.

Wenn ich 24 Stunden dort wäre, würde ich soviel Strahlung abbekommen wie bei meinem Flug von Frankfurt nach Tokio. Also, das ist Strahlung, die aus der Luft kommt, würde ich lokal hergestellte Lebensmittel essen oder Leitungswasser trinken wäre das mehr, weil dann nicht nur die reine Strahlenbelastung dazukommt, sondern auch die strahlenden Teilchen eben im Körper blieben.

Unnötig zu erwähnen, dass wir uns unser Essen und die Getränke selbst mitbringen, um genau das zu vermeiden. Außerdem haben wir Filtermasken dabei, um keinen Staub einzuatmen, und Klamotten an, die wir hinterher waschen oder entsorgen können.

Wieso muss das sein?


Ich bin Wissenschaftler. Meine Aufgabe hier ist es, Japan zu erforschen und mein Wissen mit anderen Menschen zu teilen. Das Schicksal der Menschen nach dem Tsunami und die Einflüsse der Strahlenkatastrophe gerät schon jetzt in Vergessenheit, nicht nur im Ausland, sondern es wird auch in Japan selbst immer weniger davon wahrgenommen.

Ich habe die Gelegenheit, nicht nur mir selbst ein Bild der Lage zu machen, sondern auch davon zu erzählen und Bilder davon um die Welt zu schicken. S. wird eine Geschichte darüber schreiben, und diese wird von mehreren Zehntausend Menschen in Deutschland gelesen werden.

Einerseits darf das Schicksal der Menschen nicht in Vergessenheit geraten. Andererseits darf auch die Gefahr der Atomenergie nicht vergessen werden. Chernobyl habe ich als Kind erlebt, dieses Mal kann ich als Erwachsener direkt sehen, was passieren kann. Mit eigenen Augen.

Wie gefährlich ist das?

Es ist natürlich nicht wirklich sicher in Minamisoma. Wie gesagt: Der Boden, die Lebensmittel, das Trinkwasser sind sicherlich belastet. Die Luft ist, den neuesten Messdaten der Behörden zu Folge, soweit in Orndnung. Dazu kommt, dass seit Monaten kein neues radioaktives Material aus dem Reaktor ausgetreten ist.

Außerdem sind wir nur ein paar Stunden dort, mit eigenem, mitgebrachten Essen und Getränken, die auch sicher verzehrbar sind. Wir nehmen Klamotten zum Wechseln mit, so dass wir so bald wie möglich alles in einen Sack packen und wegschmeißen können, zur Sicherheit.

Man darf nicht vergessen, dass in Minamisoma nicht nur Flüchtlinge untergebracht sind, sondern auch die eigentlichen Einwohner dort noch leben. Die Hintergrundstrahlung ist nicht stärker als in manchen Höhenlagen, beispielsweise in den Alpen, das Problem ist wirklich einzig die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wasser.

Meine Bitte an euch


Ich weiß, dass ihr euch jetzt alle Sorgen macht. Es tut mir wirklich Leid, dass ich euch das zumuten muss, aber es wäre nicht richtig für mich, nicht hinzufahren. Aber ich kann nicht anders, es ist meine Chance, vielleicht einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, dass die Menschen nicht vergessen und sich nicht mit den Erklärungen der Regierungen und Konzerne, dass schon alles wieder in Ordnung kommen werde, abspeisen lassen.

Wenn wir die Welt zum Besseren verändern wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass Geschichte nicht mehr nur von den Siegern geschrieben wird. Wir müssen die Stimmen derer hörbar machen, die sonst stumm bleiben.

Aus dieser Perspektive betrachtet gehört dieser Trip zu dem Sinnvollsten, das ich im Leben je gemacht habe. Ich hoffe, dass ihr mich wenigstens versteht, auch wenn ich weiß, dass ihr das nicht gutheißen könnt. Habt bitte Verständnis, so gut es geht, und macht euch nicht allzuviele Sorgen.

Sonntag, 16. Oktober 2011

Technische Änderungen


Ich habe in letzter Zeit von einigen von euch gehört, dass die Kommentarfunktion nicht richtig funktioniert.

Das sollte jetzt behoben sein, also probiert es doch mal aus!

Außerdem habe ich das Blog ein wenig optimiert, so dass es jetzt auch auf mobilen Geräten etwas ansprechender aussehen sollte, auch wenn die Schriftgröße vielleicht etwas zu groß ist.

Also, viel Spaß damit!

Samstag, 15. Oktober 2011

Mehr Bilder... Flora Teil 2


Nach ein paar Stunden Schlaf sind die Kopfschmerzen wieder weg. Und ab kommender Woche nehme ich ein paar Tage Abschied vom Büro. Das ist mehr als nötig, wie gesagt, ich bin ziemlich überarbeitet... wobei, eher überstresst, weil mir der Ausgleich hier fehlt.

Aber das wird sich ändern: Bilder machen, Tokio erkunden, mal wieder weggehen, und das mit tatkräftiger Unterstützung! Es wird wirklich Zeit, es gibt mehr als einen Ort, an den ich noch gern mal gehen würde... und Bilder kann man in Tokio nicht genug machen!

A propos... ich hatte Freizeit, das heißt, es gibt neue Bilder zum Anschauen! Diesmal ein paar Kleinigkeiten, die ich auf dem Weg zur Arbeit geschossen habe.

Auf diese Bilder in ich stolz. Keine Ahnung, was das für Blumen sind. Aber man sieht es doch: Schönheit findet man am Wegesrand.

Kein Park, kein Garten, einfach ein kleiner Grünstreifen neben dem Institut. Danke, Makro-Objektiv!

Was soll ich zu diesem Bild noch sagen... ist einfach schön!

Japanisches Gras und Farne. Das Gras ist anders hier als bei uns, die Blätter sind dicker und irgendwie wirkt es... tropischer. Generell ist die Vegetation hier, also da, wo sie noch zu sehen ist in Tokio, sehr üppig, dicht und grün.


Ein Kletterfrosch! Der sitzt hier immer vor dem Haus, vor allem in den Nacht- und Morgenstunden. Und zwar mitten im Licht der Straßenlaterne, ohne, dass ihn die Katze aus der Nachbarschaft angehen. Komisch, finde ich, aber wenns ihm Spaß macht...

Genaugenommen schon schade, dass ich übers Blumentöpfe fotografieren nicht hinauskomme. Aber ich kann ja so lange mit Photoshop dran rumspielen, bis es wie der leibhaftige thailändische Dschungel aussieht.

Es steht noch ein Betriebsausflug mit dem DIJ an, es steht die Idee im Raum, an den Ise-Schrein zu fahren. Das wäre super, da war ich noch nicht, und da kann ich sicher tolle Bilder machen! Aber so ganz sicher ist es noch nicht... Warten wirs ab!

Kopfschmerzen und Stress


Ja, es geht mir hier nicht immer nur gut. Leider. Aber hey, das gehört auch mal dazu und lässt sich nicht immer vermeiden.

Momentan habe ich ziemlich lästige Kopfschmerzen, weil ich mir den Nacken verspannt habe letzte Nacht, und auch sonst bin ich ziemlich genervt. Ich vermute, es liegt an der vielen Arbeit und der wenigen Freizeit. Meine üblichen Entspannungstechniken funktionieren hier nicht: Videospiele gehen auf dem Laptop nicht so recht, joggen macht hier im Betondschungel keinen Spaß und schwimmen gehen ist auch keine Option.

Ja, es ist wirklich nicht einfach manchmal... Und es zehrt an den Kräften. Es ist manchmal, als läuft das Leben nicht nach einem selbstgewählten Rhythmus abläuft, sondern als ob immer wieder Kräfte von außen in die Regelmäßigkeit hineinpfuschen. Wer mich kennt weiß, wie wichtig mir meine Selbstbestimmung ist in dieser Hinsicht... und wie empfindlich ich auf jede Störung dieser Balance reagiere.

Leider wird das wohl noch so weitergehen bis ich wieder in Zürich bin...

Natürlich mache ich das Beste daraus und gebe mir Mühe, mich davon nicht unterkriegen zu lassen. Teilweise klappt es auch, mal gehe ich Fotos machen, mal schlafe ich einfach aus am Wochenende... aber der Entspannungseffekt ist einfach nicht nachhaltig genug.

Naja, vielleicht ergibt sich ja um Weihnachten herum noch ein wenig Ruhe...

Montag, 10. Oktober 2011

Flora...


Japan ist total zubetoniert. Leider, muss man sagen, das Klima hier ist nämlich wirklich toll für allerlei Pflanzen und Tiere geeignet, die für unser europäisches Verständnis echt exotisch sind. Bambus, Koi-Karpfen, Schmetterlinge, die so viel größer sind als die, die wir so kennen aus Deutschland, Gottesanbeterinnen, und und und!

Aber es gibt ja Gärten und immer wieder kleine grüne Flecken überall.

Manchmal stehen auch einfach nur Orchideen vor kleinen Restaurants, wie im folgenden Beispielen:

Unterschiedliche Perspektiven, aufgenommen mit meinem tollen Makro-Objektiv. Könnte doch glatt als Postkarte durchgehen, der Schuss, oder?

Dann noch ein klein wenig Photoshop drüber, und schon ist es von der Wirklichkeit nicht mehr zu unterscheiden.

Diese Blüten sind wirklich außergewöhnlich schön, und das Beste: Wenn es windstill ist, zappeln sie auch nicht herum!

... und Architektur


Was sprießt genauso gut in Tokio wie Orchideen?

Na klar, Hochhäuser!

Der jüngste Spross der Familie wird gerade in der Nähe von Asakusa hochgezogen, man kann direkt Bilder von der Pagode mit dem Turm im Hintergrund machen.


Als ob Tokio nicht schon genug Wolkenkratzer hätte... aber hey, wenn die Grundstückspreise so enorm sind, muss man eigentlich in die Höhe bauen.

So unterschiedliche Gewächse gibt es also hier in Tokio. Kaum zu glauben, oder?

Sonntag, 9. Oktober 2011

Neuigkeiten aus Fernost


Hallo ihr Lieben!

Es gibt Neuigkeiten... und neue Bilder! Diesen Sonntag war ich mal wieder in Asakusa, am Senso-Ji. Das ist einer der größten Tempel hier in Tokio, und einer der berühmtesten Orte hier. Deshalb ist es dort meist leider ziemlich voll, aber dafür habe ich eine Lösung gefunden: Man geht einfach hin, wenn keine Züge fahren... mitten in der Nacht!

Sonntag Morgen um 5:30 Uhr ist es dort nämlich leer. Ja, ich bin wirklich um vier Uhr nachts aufgestanden, an einem Sonntag, um mit dem Sonnenaufgang am Tempel zu stehen. Und es hat sich gelohnt!

Das berühmte Kaminari-Mon, das "Donnertor". Hier beginnt der äußere Tempelbereich, eine lange Gasse, gesäumt von Geschäften. Dort gibt es religiöse Devotionalien, aber auch Süßigkeiten, Kleidung und andere Waren.


Ein kleines Nebengebäude im inneren Bereicht des Senso-Ji-Areals. Still und bescheiden duckt es sich neben die Ströme von Menschen, Pilger und Touristen gleichermaßen, und hört der Zeit zu.


Die fünfstöckige Pagode im Innenhof des Geländes. Mehrere hundert Jahre alt, und schon erdbebensicher gebaut! Nicht nur architektonisch ein wahres Meisterwerk.

Das Herzstück der Tempelanlage, die Haupthalle, durchzogen von goldenem Glanz und dem Duft des Räucherwerks. Ihre majestätische Erscheinung lässt sich auch von den Hochhäusern Shinjukus nicht aus der Ruhe bringen.

Was man nicht auf Bildern sieht...


Als ich heute früh dort war, waren die Tempeltüren noch geschlossen. Aber nach einer Weile erwachte das Areal richtig zum Leben, die Türen wurden geöffnet und eine buddhistische Glocke tönte durch den Morgen.

Die Mönche haben dann Sutren gelesen, während ein Trommler den Takt immer lauter und schneller auf einer Taiko-Trommel vorgab. So etwas habe ich das letzte Mal in Nikko gesehen, das muss 2003 gewesen sein. Ich hätte diese Eindrücke zu gerne mit euch geteilt, aber es gibt Momente, in denen man keine Bilder macht, sondern sich einfach still und leise in die Ecke stellt, um niemanden zu stören.

Menschen kamen in die Halle, warfen Münzen in den großen Kasten, der die Spenden der Gläubigen auffängt, legten die Hände zusammen und beteten kurz mit gesenktem Kopf. Manche schweigen völlig, andere murmeln Sutren, und über allem der schnelle Takt der Trommel und der gleichförmige, melodische Chor der Mönche im abgetrennten, hinteren Bereich der Halle.

Egal, wie atheistisch ich bin, in solchen Momenten kann ich die Religiositäte spüren, die in der Luft liegt. Eine heilige Handlung vollzieht sich, voller Bedeutung und Würde, deren Sinn, Regeln und Ziele mir völlig unverständlich sind. Aber ich bin Zeuge, geduldet, so lange ich nicht störe, und darf dieses Gefühl erleben.

Worum geht es uns im Leben? Worum bitten wir, und wann suchen wir nach Hilfe? Wie bedeutsam sind wir, das Leben oder das Universum überhaupt?

Gehen wir diesen Fragen mit dem angemessenen Ernst nach?