Montag, 26. Dezember 2011

Ise, Teil 4

Der Sitz der Götter


Jetzt habe ich schon so viel über die Schreine, die Opfergaben und die Geschichte des Shintô erzählt, und habe euch noch garnicht gezeigt, wie der Schrein, also die eigentlichen Gebäude für die Götter, aussieht.

Die Schreine in Ise, in der Präfektur Mie am japanischen Meer (also Richtung Korea und China hin, die Westküste) gelegen, hat eine besonders lange Shintô-Tradition. Deshalb unterscheidet sich der Baustil der Schreine sehr stark von dem, was man aus anderen Teilen Japans kennt.

Ein kleiner Nebenschrein auf dem Gelände des Ise-Schreins.
Die Bauweise ist sehr typisch und unterscheidet sich kaum
von der Art, wie auch für Menschen gebaut wurde.
Die Schreine in Ise sehen ein wenig aus wie reetgedeckte Wikingerhäuser, was vor allem den sich kreuzenden Verlängerungen der Dachbalken an den Stirnseiten und eben der Art, wie das Dach gemacht ist, liegt. Heute, auf dem Weg durch Tokio, habe ich ähnliche Stirnbalkenverlängerungen gesehen, aber ansonsten ist dieser Baustil eher ungewöhnlich in der Region hier.

Leider kann man die eigentlichen Gebäude nicht direkt fotografieren, ja, man kann sich ihnen nicht einmal nähern! Das Gelände ist mit vier oder fünf Wällen und Zäunen abgegrenzt, und nur die vorderste Barriere kann von Normalsterblichen betreten werden. Wir hatten Glück und durften eine Barriere weiter, so dass wir die Giebel der eigentlichen Häuser der Götter sehen konnten. So weit kommen sonst nur hochrangige Politiker, Vertreter des Kaiserhauses oder die Priester, und um noch weiter zu kommen, muss man selbst Shintô-Priester sein.

Um soweit vorgelassen zu werden, mussten wir unsere Jacken und Mäntel ablegen und in unseren Anzügen (volle Montur, mit Krawatte und so weiter) weitergehen. Ein Priester ging uns voran, nachdem er heiliges Salz vor uns verstreut hatte, um uns zu reinigen. Wirklich sehr spannend! Dann haben wir uns in einer Reihe aufgestellt, mit dem Gesicht zum Inneren des Schreins. Unser Institutsleiter stand vor uns, nebem ihm der Priester. Dann kam das Ritual: Der Priester und unser Chef verbeugen sich, wir alle als Gruppe genauso. Dann eine zweite Verbeugung und zweimal langsam in die Hände klatschen. Dann noch eine Verbeugung. So erbittet man den Segen der Götter an den Schreinen.

Danach gingen wir, wieder im Gänsemarsch, zurück in den äußeren Bezirk.

Es war kalt, obwohl die Sonne durch die Bäume schien, und das Knirschen unserer Schritte auf den großen, grauen Kieselsteinen, die das ganze Areal bedeckten, passte perfekt in die krispe Herbstluft. Das Holz aus dem die Gebäude waren und der Wald selbst haben diesen ganz eigentümlichen Geruch verströmt, den Wälder so an sich haben und es war außer uns kaum jemand dort.

Eine wirklich außergewöhnliche Erfahrung.

Dienstag, 20. Dezember 2011

Ise, Teil 3

Gaben für die Götter


In Ise werden ca 125 Kami verehrt. Die wichtigste Gottheit ist natürlich Amaterasu, aber auf dem Gelände der Schreine befinden sich auch immer kleinere Nebenschreine. Je nach Bedeutung und Größe sind diese Nebenschreine eben auch größer und auffälliger oder eher klein und unscheinbar.

Im Hauptschrein wird zweimal täglich den Kami Essen geopfert. Die Lebemsmittel sind aus der Region, also Reis, ein spezielles, heiliges Salz, drei Sorten Sake, Fisch, Gemüse, Wurzeln und Obst. Die Lebensmittel werde in einer besonderen Küche auf dem Gelände des Schreins zubereitet, über einem reinen Feuer, das tatsächlich noch durch das Reiben eines Hartholzstücks in einem weicheren Holz entzündet wird.

Bei der Zubereitung tragen die Mönche Atemmasken, damit die Kami aus dem Atem nicht das Essen berühren. Wenn die Mahlzeit fertig ist, wird sie in speziellen Holzkisten in das dafür vorgesehene Gebäude im innersten Zirkel des Schreins gebracht.

Wenn ich alles richtig verstanden habe, wird das Essen aber nicht ewig dort gelassen, sondern irgendwann von den Mönchen wieder geholt und verzehrt. So soll die Kraft der Götter auf die Menschen übergehen. Auch hier wird nichts verschwendet, was doch einen ziemlichen Kontrast zum Leben im gegenwärtigen Japan darstellt.

Sake für das Neujahrsfest.
Jedes Jahr, zum Neujahrsfest, werden riesige Sakefässer aus den Regionen an die Schreine geliefert. Es wird immer der in diesem Jahr gefertigte Sake gebracht, als Gabe an die Götter. Shintô-Rituale wirken eigentlich fast alle wie Ernte-Dank-Feste. In jedem Fall ist es eine besondere Auszeichnung für die Sake-Brauereien, wenn die Fässer mit dem eigenen Markenzeichen an den wichtigen Schreinen ausgestellt werden. In Ise haben wir sogar ein Fass aus Akita, an der Nordküste, gesehen. Das liegt etwa 900 Kilometer voneinander entfernt.

Doch es werden nicht nur Lebensmittel geopfert. Auch Gegenstände, Statuen, Werkzeuge, kunsthandwerklich gefertigte Produkte und anderes wird an die Schreine geliefert. Diese Dinge werden in einem Nebengebäude im innersten Zirkel des Schreins aufbewahrt und bilden den Schrein-Schatz.

Die Koi am Ise-Schrein
zählen zu den Schönsten
in Japan.
Auch Koi werden gerne gespendet, um den Kami Freude zu bereiten. Die japanischen Karpfen sind spezielle Züchtungen, und es ist sicherlich kein Zufall, dass die schönsten Exemplare rot, weiß und schwarz gefleckt sind... es sind die traditionellen Shintô-Farben!

Neben den Karpfen leben auch Hähne und Hennen auf dem Schreingelände. Sie werden von den Mönchen gefüttert und die sind wirklich völlig frei. Nicht einmal die Flügel werden ihnen gestutzt, so dass die Tiere noch fliegen können. Wie allerdings dafür gesorgt wird, dass sie sich nicht unkontrolliert vermehren, weiß ich nicht so genau.

Sonntag, 18. Dezember 2011

Ise, Teil 2

Religion und Staat - Getrennt oder nicht?


Nach dem zweiten Weltkrieg musste der Tennô öffentlich erklären, ein Mensch zu sein. Das war das erste Mal, dass die japanische Bevölkerung die Stimme ihres Herrschers zu hören bekam, die Originalansprache wurde nämlich von den Amerikanern aufgezeichnet und landesweit abgespielt.

Danach wurde die Position des Tennô neu bestimmt. Bis heute ist der Tennô "das Symbol der Einheit des japanischen Volkes". Er ist auch das Staatsoberhaupt, darf sich aber kaum zu den politischen Entwicklungen äußern und nimmt auch keinen Einfluss mehr darauf.

Dennoch ist das Kaiserhaus bis heute eng mit dem Shintô verbunden: Überall am Ise-Schrein ist die Nationalflagge zu sehen, und an den Schreinen gibt es einen speziellen Bereich, der bei hohen Festen von einem Repräsentanten des Kaiserhauses eingenommen wird.

Wenn man all dies weiß, wirken die pittoresken, kleinen Schreine auf einmal ganz anders... eine Weltlichkeit, die heute sicherlich nicht mehr so gegeben ist wie damals, wird spürbar. Es ist doch bedrohlich, auch wenn natürlich heute keine Gefahr mehr besteht.

Dennoch gibt es immer wieder Debatten darüber, ob die Politik nicht doch auf die eine oder andere Weise die Schreine finanziert oder anderweitig unterstützt. An manchen Schreinen werden auch heute noch Generäle und Admiräle verehrt, die rechtskräftig für Kriegsverbrechen im zweiten Weltkrieg verurteilt wurden. Das sorgt auch heute noch für Irritationen bei den asiatischen Nachbarn.

Es bleibt also doch ein bisschen schwierig.

Die Erneuerung des Bundes


Das klingt in der Überschrift sehr biblisch, aber etwas ähnliches wie die Erneuerung des Bundes zwischen Abraham und Gott im Christentum gibt es auch am Ise-Schrein.

Alle 20 Jaher werden nämlich die Hauptgebäude des Schreins, die, in denen die Götter residieren, abgerissen und neu erbaut. So sollen die Götter bewogen werden, sich nicht von den Menschen abzuwenden. Gleichzeitig bleibt so das Wissen der alten Handwerker erhalten, die noch heute weitgehend nach den traditionellen Methoden arbeiten.

Die neuen Gebäude für den Naikû, vor
neugierigen Blicken durch geweihte
Tücher verborgen.
Dabei werden die neuen Gebäude bereits errichtet, während die alten noch stehen. Das dauert acht Jahre und kostet irgendetwas zwischen 5 und 6 Millionen Euro. Doch es wird nichts weggeworfen: Die Balken der alten Gebäude werden an andere Schreine in Japan verkauft. Das Holz aus Ise ist begehrt, nicht nur, um schadhafte Stellen auszugleichen, sondern auch, um Gebäude neu zu errichten.

Natürlich hat das Material aus Ise eine ganz besondere Bedeutung, denn es stammt schließlich vom wichtigsten Schrein Japans. So ist auch jeder Schrein in Japan, der Holz aus Ise enthält, spirituell mit dem Hauptschrein verbunden, und es zieht sich ein unsichtbares Netz über das Land, das direkt von Ise als dem Zentrum ausgeht.

Hier wird wieder die weltliche Macht spürbar, die doch hinter dieser ansonsten so harmlosen Religion zu stecken scheint.

Freitag, 16. Dezember 2011

Ise

Eine Tour zur Sonnengöttin


Letzte Woche haben wir mit dem Institut einen Betriebsausflug an den Ise-Schrein unternommen. Eine typisch japanische Zwei-Tages-Reise, in einer Gruppe aus ingesamt zehn Personen. Acht davon waren vom Institut, unsere Reisebegleiter waren vom Shintô-Amt, dem Jinja-Honchô (Schrein-Hauptamt). Die verwalten die ca. 80.000 Schreine in ganz Japan, ziemlich beschäftigt müssen die sein damit!

Aber ich glaube, ich muss ein bisschen mehr erzählen... Damit es nicht zu langweilig und anstrengend wird, teile ich diesen Artikel auf und lade auch immer ein paar Bilder hoch dazu. Es wird nicht ganz so viele Teile geben, aber betrachtet es doch als eine Art Adventskalender!

Der Shintô, eine der ältesten Glaubensformen der Welt


Der Ise-Schrein hat eine beinahe 2000 Jahre alte Geschichte. Das heißt, an ebendieser Stelle, mitten in einem uralten Wald aus riesigen, dicken Hinoki-Bäumen (eine Zypressen-Art), befinden sich, eigentlich seit Menschengedenken, diese Bauwerke.

Früher Morgen im
Zypressenwald am
inneren Schrein (Naikû)
Im Ise-Schrein wird, neben einigen anderen Kami (übernatürlichen, gottähnlichen Wesen) auch Amaterasu angebetet, die Sonnengöttin. Amaterasu ist eine der wenigen Shintô-Figuren, die tatsächlich eine überlieferte und bildlich dargestellte Form hat, und sie gehört zu den Ursprungsgöttern, die in den allerersten Schöpfungsmythen Japans erwähnt werden.

Der Ise-Schrein ist der Hauptschrein des Shintô, sozusagen das Zentrum der spirituellen Welt Japans. Regelmäßig wird er auch von Vertretern der kaiserlichen Familie besucht, und einige der Priester und Priesterinnen, die dem Schrein vorstehen, kamen aus dem Kaiserhaus.

Das liegt daran, dass die Kaiserfamilie, so der Glaube, direkt von den Schöpfungsgöttern, zu denen auch Amaterasu gehört, abstammt. Alle Japaner stammen letztlich von den Kami ab, weshalb Japan in diesem Glauben eine ganz besondere Rolle in der Welt spielt.

Der Staats-Shintô der Meiji-Zeit


In der Meiji-Zeit, also von 1868-1926, erlebte Japan eine rasend schnelle Modernisierung. Der Druck der westlichen Kolonial- und Industriemächte war immens, und Japans Regierung sah nur einen Weg, die eigene Unabhängigkeit zu erlangen: So schnell wie möglich musste das westliche Wissen aufgenommen und für Japan nutzbar gemacht werden.

Japan musste eine Großmacht werden, oder es würde untergehen.

Göttlicher Segen und weltliche Macht:
Steinlaterne im Morgengrauen in Ise.
Während Japan also nach Kräften versuchte, die industrielle Revolution in nur wenigen Dekaden nachzuholen, eine moderne Armee aufzubauen, das Bildungssystem zu erneuern, Medizin, Technik, Recht und Politik auf die Höhe der Zeit zu bringen, drohte allerdings, Japans Identität unterzugehen.

Also begann eine, nicht weniger fieberhafte, Suche nach der "wahren Identität" Japans und seiner Bewohner. Im Prinzip wollte man dem westlichen Nationalismus und Christentum etwas entgegensetzen, etwas, das "rein japanisch" war. Diese Rolle sollte der Shintô erfüllen.

Der Tennô veranlasste also zunächst eine strikte Trennung von Shintô und Buddhismus, was bis heute dazu führt, dass es "Tempel" (buddhistisch) und "Schreine" (shintoistisch) gibt. Gleichzeitig wurde die Göttlichkeit des Tennô, und damit aller Japaner, immer stärker betont, so dass eine religiös-ideologische Legitimation des Vormachtsanspruchs Japans in Asien geschaffen wurde.

Danach trudelte Japan immer schneller, zusammen mit dem Rest der Welt, in den Nationalismus und damit auch in den zweiten Weltkrieg hinein. Diese Geschichte endet dann vorläufig mit Hiroshima und Nagasaki.

Soviel für heute... Am Sonntag kommt der nächste Teil.