Dienstag, 1. November 2011

Zurück aus Minamisoma


Es gibt Entwarnung: Die Mission Minamisoma ist ohne gesundheitliche Schäden abgegangen. Die Strahlungswerte, die wir mit unserem Geigerzähler gemessen haben, lagen im Normbereich der Hintergrundstrahlung. Es bestand also keine Strahlengefahr... und da wir uns unser Essen selbst mitgebracht haben, waren wir auch in dieser Hinsicht auf der sicheren Seite.

Ich habe S. bei ihren Interviews vor Ort unterstützt, wir haben intensive Gespräche mit einem älteren Ehepaar sowie einer Familie mit drei Kindern und über vier Generationen hinweg geführt. Das Übersetzen hat besser geklappt als ich erwartet hätte, auch wenn doch einiges an Rückfragen notwendig war. Aber besser einmal mehr gefragt als einmal zu wenig.

Die Stadt ist immer noch schwer gezeichnet, mehr als ein halbes Jahr nach dem Erdbenen. Zahlreiche Gebäude sind als "unsicher" markiert, manche noch im Teilabriss. Auch an der Küste sieht es noch schlimm aus: Es liegen immer noch Boote in den Feldern. Die Trümmer und der Schlamm wurden mit Bulldozern zu Hügeln zusammengeschoben; so weit das Auge reicht ist nichts zu sehen außer die Reste der Fundamente der Häuser. Alles andere ist weggeschwemmt worden.

Die folgenden Bilder habe ich an der Küste gemacht.

So sieht es unmittelbar am Strand aus. Weder die Betonmauer an der Küste (knapp 2 Meter hoch), noch die zwei Reihen aus riesenhaften Beton-Tetraedern und anders geformten Betonhindernissen konnte die Wucht der Welle abbremsen. Sie ist einfach drüber weggegangen.

Hinterassenschaften. Mehr ist hier nicht mehr übrig, ein kleines, trauriges Mahnmal.

Das hier ist ein kleiner Schrein, ordentlich mit Reisstrohseilen abgegrenzt. Nirgends drückt sich die stumme Sehnsucht nach Normalität so dramatisch aus wie hier. Von ein paar Schutthügeln und zwei verkrüppelten Baumstümpfen abgesehen ist das hier die momentan höchste Erhebung am Strand von Minamisoma.

Wenn da nicht die Strahlung wäre, wäre der kleine Schrein ein echtes Hoffnungssymbol. Häuser lassen sich wiederaufbauen, Felder neu anlegen, der Toten kann gedacht werden... aber die Angst vor der unsichtbaren Strahlung verseucht den Boden hier mindestens genauso sehr wie es die Strahlung selbst tut.

Die Folgen


Ende Oktober wurden die letzten offiziellen Flüchtlingslager geschlossen. Außerdem soll die kostenlose Autobahnnutzung für Hilfsorganisationen eingestellt werden. Alles also zurück auf Anfang?

Mitnichten.

Die Menschen in den "provisorischen Häusern" haben ja immer noch alles verloren. Wir haben mit Menschen gesprochen, die nicht nur innerhalb der evakuierten 20-km-Zone wohnten, sondern die durch den Tsunami alles verloren haben: Ihr Haus, ihre Felder, die Maschinen, also die gesamte Lebensgrundlage.

Andere haben wenigstens noch Arbeit, leben aber trotzdem in den improvisierten Blechhäusern. Die sind garnicht mal so schlecht, wie ich es vermutet hätte, wenn man davon absieht, dass sie noch schlechter isoliert sind als normale japanische Häuser Genaugenommen trennt die Menschen nur eine dünne Schicht Blech von der Außenwelt, im Wesentlichen entspricht die Innen- der Außentemperatur. Immerhin, es gibt eine Klimaanlage, zumindest eine pro zwei Zimmer, erfrieren wird also niemand müssen. Dennoch...

Helfer bereiten die Ausgabe der Hilfsgüter, hauptsächlich frisches Gemüse, Obst, Konserven und Wasser sowie Süßigkeiten für die Kinder, vor. Die Damen auf dem Bild sind selbst aus Minamisoma, hatten aber Glück und haben ihre Häuser noch. Die beiden Laster, in denen die Güter transportiert werden, wirken erstaunlich klein angesichts der vielen Menschen... es hätten auch vier Laster sein können, und es würde immer noch nicht reichen.

Die Menschen reihen sich ein, schnell bildet sich eine lange Schlange. Nicht alle Menschen stehen selbst in der Schlange, die meisten haben noch Familienangehörige und bekommen entsprechend größere Rationen. Die wenigsten Menschen sind am Hungern, doch gerade für diejenigen, die keine Arbeit (mehr) haben und die sich vorher weitgehend aus eigener Herstellung mit Lebensmitteln versorgen konnten, ist die Situation doch eng.

Die Zukunft

Ein schwieriges Thema. Die wenigsten sind verzweifelt, aber alle sind besorgt. Vielleicht sitzt der Schock noch zu tief, immerhin sind die Menschen hier zumindest einmal in einer mehr oder weniger sicheren Unterkunft und mit dem Notwendigsten ausgestattet.

Tepco hat nicht viele Freunde in der Region, das ist sicher, aber die Menschen sind merkwürdig in sich gekehrt, wenn man sie auf ihr Verhältnis zu Tepco anspricht. Sie werden nachdenklich und schweigsam, dabei wirken sie nicht, als hätten sie Angst vor der großen Firma. Vielmehr sind sie ratlos, immerhin wohnen sie teilweise mehr als 30 Jahre neben dem Atomkraftwerk und haben das anscheinend nie als problematisch empfunden.

Bei manchen ist sicher die Hoffnung noch da, eines Tages vielleicht doch wieder zurückgehen zu können, gerade die Alten machen sich wenig Sorgen wegen eventueller Spätfolgen von Strahlung. Wenn man 70 ist oder 80 ist das sicherlich nachvollziehbar. Um die Jungen machen sich aber alle Sorgen.

Und jeden Morgen geht sie wieder auf, die Sonne über Minamisoma. Nukleares Feuer, in sicherer Distanz, das Leben spendet, Licht und Wärme... und ganz in der Nähe der geborstene Betonkorpus von Fukushima Daiichi.

Ikarus ist wieder einmal zu hoch geflogen.

1 Kommentar:

  1. Hallo Thomas,
    ich denke die Bilder von Minamisoma wirst du so schnell nicht wieder vergessen. Das zeigt uns wie unberechenbar die Atomkraft ist und wie hilflos die Menschheit ist wenn sie außer Kontrolle gerät.
    Die gesungheitlichen Folgen für die Bevölkerung wird man aber erst in einigen Jahren sehen können.

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