Sonntag, 18. Dezember 2011

Ise, Teil 2

Religion und Staat - Getrennt oder nicht?


Nach dem zweiten Weltkrieg musste der Tennô öffentlich erklären, ein Mensch zu sein. Das war das erste Mal, dass die japanische Bevölkerung die Stimme ihres Herrschers zu hören bekam, die Originalansprache wurde nämlich von den Amerikanern aufgezeichnet und landesweit abgespielt.

Danach wurde die Position des Tennô neu bestimmt. Bis heute ist der Tennô "das Symbol der Einheit des japanischen Volkes". Er ist auch das Staatsoberhaupt, darf sich aber kaum zu den politischen Entwicklungen äußern und nimmt auch keinen Einfluss mehr darauf.

Dennoch ist das Kaiserhaus bis heute eng mit dem Shintô verbunden: Überall am Ise-Schrein ist die Nationalflagge zu sehen, und an den Schreinen gibt es einen speziellen Bereich, der bei hohen Festen von einem Repräsentanten des Kaiserhauses eingenommen wird.

Wenn man all dies weiß, wirken die pittoresken, kleinen Schreine auf einmal ganz anders... eine Weltlichkeit, die heute sicherlich nicht mehr so gegeben ist wie damals, wird spürbar. Es ist doch bedrohlich, auch wenn natürlich heute keine Gefahr mehr besteht.

Dennoch gibt es immer wieder Debatten darüber, ob die Politik nicht doch auf die eine oder andere Weise die Schreine finanziert oder anderweitig unterstützt. An manchen Schreinen werden auch heute noch Generäle und Admiräle verehrt, die rechtskräftig für Kriegsverbrechen im zweiten Weltkrieg verurteilt wurden. Das sorgt auch heute noch für Irritationen bei den asiatischen Nachbarn.

Es bleibt also doch ein bisschen schwierig.

Die Erneuerung des Bundes


Das klingt in der Überschrift sehr biblisch, aber etwas ähnliches wie die Erneuerung des Bundes zwischen Abraham und Gott im Christentum gibt es auch am Ise-Schrein.

Alle 20 Jaher werden nämlich die Hauptgebäude des Schreins, die, in denen die Götter residieren, abgerissen und neu erbaut. So sollen die Götter bewogen werden, sich nicht von den Menschen abzuwenden. Gleichzeitig bleibt so das Wissen der alten Handwerker erhalten, die noch heute weitgehend nach den traditionellen Methoden arbeiten.

Die neuen Gebäude für den Naikû, vor
neugierigen Blicken durch geweihte
Tücher verborgen.
Dabei werden die neuen Gebäude bereits errichtet, während die alten noch stehen. Das dauert acht Jahre und kostet irgendetwas zwischen 5 und 6 Millionen Euro. Doch es wird nichts weggeworfen: Die Balken der alten Gebäude werden an andere Schreine in Japan verkauft. Das Holz aus Ise ist begehrt, nicht nur, um schadhafte Stellen auszugleichen, sondern auch, um Gebäude neu zu errichten.

Natürlich hat das Material aus Ise eine ganz besondere Bedeutung, denn es stammt schließlich vom wichtigsten Schrein Japans. So ist auch jeder Schrein in Japan, der Holz aus Ise enthält, spirituell mit dem Hauptschrein verbunden, und es zieht sich ein unsichtbares Netz über das Land, das direkt von Ise als dem Zentrum ausgeht.

Hier wird wieder die weltliche Macht spürbar, die doch hinter dieser ansonsten so harmlosen Religion zu stecken scheint.

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